Des Esels Brücke

…zum Ersten:

Wie bereits an anderen Orten beschrieben, lässt mich mein Gedächtnis zuweilen in unterschiedlichsten Situationen im Stich: sei es, dass ich mich völlig orientierungslos im Keller wiederfinde, ohne jegliche Idee, was mich nach unten getrieben hat oder etwa, dass ich mich partout nicht an den Namen der freundlichen älteren Dame erinnern kann, die ein paar Häuser um die Ecke wohnt und in den ungünstigsten Momenten bei mir vorbeispaziert…Dies natürlich ganz in Plauderlaune und total (über-?) motiviert.

Mit ungünstig meine ich zum Beispiel, wenn ich morgens um sechs mit Pijama und zerknautschtem „Ich-bin-noch-nicht-ganz-richtig-wach-Gesicht“ und der entsprechend wenig sortierten Frisur, nur ganz schnell und natürlich geplant inkognito, den Mülleimer rausbringen möchte. Oder weiter, dass ich mit kühlender Antiaging-Gesichtsmaske in Unterwäsche im abendlichen Dunkel kurz zum Briefkasten husche…Sie wissen schon, solche Gegebenheiten eben…!

Naja, in besagten Momenten wäre ich froh, ich wüsste wenigstens den Namen der betreffenden Person, um mich gebührend höflich schnellstmöglich aus meiner unmöglichen Lage verdrücken zu können („Haaach, Frau „Wasweissich“, so schade, dass ich sie gerade jetzt antreffe, genau jetzt ertrinken bei uns die Kinder-äähh Kleider- in der Waschmaschine, ich muss mich wirklich darum kümmern…ohjee, hätten wir uns doch so viel zu erzählen gehabt…nein, wirklich, wie unglaublich beklagenswert, das holen wir bald nach, ganz sicher…!“)

Hier hilft mir in einigen Fällen eine Eselsbrücke aus der Patsche: Hat diese Frau zum Beispiel eine -in meinen Augen- unmöglich toupierte Frisur, welche die spärlichen Haare luftig und durchsichtig rund um den Kopf abstehen lässt und zeigt zusätzlich dazu ihre prägnante Nase deutlich in Richtung Mundbereich, könnte sie vielleicht U-(hu)-rsula heissen! Sind die Augen gross und rund mit weichem einfältigem Blick würde wahrscheinlich Ku-(h)-nigunde passen oder aber die Person heisst möglicherweise Ros-(s)-alia, da ihr Getrampel akkustisch bereits vor ihr bei mir ankommt.

Nun, nicht nur in sozialen Situationen können Eselsbrücken hilfreich sein, also

…zum Zweiten:

Natürlich haben auch Sie bereits des Öfteren auf Prüfungen gelernt…die Eltern unter uns tun dies wöchentlich für unterschiedlichste Schulfächer- oder werden bald in diese ach so stressfreie nicht selbstgewählte Tätigkeit kindlicher Aufgabenbetreuung reinrutschen- und die andern erinnern sich noch der eigenen Schulzeit, bin ich mir sicher!

Na gut, meine Kinder haben meine „Eselsbrücken-Predigten“ fürs „Vocibüffeln“ bereits verinnerlicht: „La tige de ciboulette“ -der „Schnittlauchhalm“ auf Französisch! Aus meiner Warte ein total unterstützenswertes Wort, sollte man doch auf jeden Fall solch essentielle Bereicherungen des alltäglichen Wortschatzes wenigstens in einer Fremdsprache beherrschen: “Bonjour, je suis Verena, ta cousine de Zurich.“ „Salut Verena, est-ce que tu as mangé une tige de ciboulette aujourd’hui?“- reimt sich laut meinem Sohn auf « Rosette », welche einem in den Sinn komme, wenn man sich vorstelle, dass dieser Halm gegessen werde und verdaut und ausgesch…naja, eben…Hauptsache, er kann sich den Ausdruck merken!!

(und nein: ich habe AUSGESCHIEDEN gemeint!)

Die „Gewürznelke“ nennt sich auf Englisch „clove“, was meine Tochter sich bestens merken kann, da dies wie „love“ und damit „lieben“ töne und sie diese Gewürznelke sicher lieben würde, wenn sie wüsste, was eine solche sei…Naja, man könnte jetzt über meine offenbar nicht allzu intensiven Kochlektionen mit meinen Kindern diskutieren oder aber man überlässt der Tochter einfach ihre Eselsbrücke ohne weiteren Kommentar…

…zum Dritten:

Lernpsychologisch gesehen sollte man beim Aufbau einer eigenen Eselsbrücke so oft als möglich mit dem ersten Einfall spielen, also mit der ersten Assoziation zu einem Wort…so knüpfe man an eigene Vorlieben an und mache Lernen individuell!

Nun gut, eine solch kommunizierte eigene Eselsbrücke dürfte also im Umkehrschluss auch einiges über die Verfasserin aussagen…hhmm…Ich gehe das Risiko ein:

Wenn ich überlegen muss, wann das Nachbarskind Geburtstag hat, hilft mir der Satz: „Janu, harre aus!“ (Januar– das Mädchen nervt mich seit Jahren mit Rufen wie: „Duuuhuuuu, was maaaaachsch jetzt?!…Und dääännn???! …Und nachääär??!“)

Oder der Geburtsmonat eines Onkels väterlicherseits: „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn“ (Auchust= August…Zudem trägt der Mann eine dicke Hornbrille (fast blind) und als krönender Zusatz hat seine Ehefrau ein etwa gleich erfrischendes Wesen wie ein Staubkorn! Ha, sehen Sie? Warum ich mir das Datum dazu merken kann -der 11.­– würde aus der Physis der beiden mehr als ersichtlich…Naja, so wissen Sie jetzt wenigstens, dass Sie ausser der Bekanntschaft meiner Verwandtschaft nichts verpasst haben!)

…des Esels Brücke zum Vierten:

Da ich mich nun schon seit geraumen Zeilen mit Eselsbrücken befasse, komme ich aus meiner Sicht nicht darum herum, auch zu diesem Begriff ein wenig zu assoziieren…Interessant wäre die Frage, –

für MICH interessant, liebe LeserInnen, für mich…sollten Sie also langsam genug haben, mir beim Schreiben zu folgen, verstehe ich das wie immer und würde Ihnen gerne liebenswürdig und verständnisvoll vorschlagen, direkt zum Fünften vor zu scrollen, damit Sie zumindest beim Lesen einen Abschluss finden…unfertige Dinge, selbst Texte, hinterlassen immer ein ungutes Gefühl!

-wie ich mir das Wort merken könnte, würde ich es denn vielleicht einmal vergessen. Hhhmmm…„Ich“ und „Eselsbrücke“, was fliegt da auf, was kommt da her?

Dummerweise habe ich zu diesem Thema tatsächlich -und leider ziemlich unüberlegt, wie es sich herausstellte- meine Familie um freie Assoziationen gebeten. Nun ja, welch ein Frust: Erstens ist keinem von ihnen überhaupt in den Sinn gekommen, irgendeine Gemeinsamkeit zwischen mir und der Brücke zu suchen, geschweige denn zu finden (ICH würde da schon was finden: „stabilisierend“, „verbindend“, „tragend“ und so fort…) und zweitens waren die Übereinstimmungen vom Esel zu mir wie zu erwarten nicht wirklich schmeichelhaft: „Wenn ich an die Farbe denke, kommt mir dein Haaransatz in den Sinn.“ -Wobei ich ja finde, dass ich da vergleichsweise gut weg gekommen bin: Stellen Sie sich vor, meine Tochter hätte anstatt „Haarfarbe“ das Wort „Hautfarbe“ benutzt!- Mein Mann attestierte sowohl dem Tier als auch mir eine gewisse „Starrköpfigkeit“ -was ich so natürlich auf keinen Fall unterschreiben würde! (Im Geheimen und bei entspannter Stimmung mit Sektglas in der Hand würde ich ihm möglicherweise ein kleines Stück entgegenkommen, ich müsste aber dieses doch sehr in die verkehrte Richtung belastete Wort durch „bestimmt, “effektiv“ oder „beharrlich“ ersetzen dürfen)- und mein Sohn wird offenbar durch des Esels Gebrüll an meine Stimme erinnert…Naja!

Meine erste Regung führt mich zum „Tick des Esels“ und somit auch zu meinen „Verhaltensweisen“: Laut Geolino wateten Esel in früheren Zeiten, als man diese zum Lastenschleppen brauchte, nicht gerne durch Wasser oder Sumpf. So suchten sich diese grauen Tierchen also wann immer möglich eine Alternativroute (Brücke!). Interpretiere ich diese Begebenheit als kleine Parabel des Lebens gilt dies für mich genauso: Wasser oder Sumpf auf meinem Weg geht gar nicht… ich könnte nass werden, ausgleiten, durchdrehen, jemandem -zu fest- auf die Füsse oder in die Weichteile treten (immer aus Versehen natürlich, zum Beispiel beim Abglitschen!), versumpfen, stecken bleiben, versauern, verschrumpeln, mich zu fest anstrengen oder mit Unnötigem abplagen müssen…

Die hartnäckige Weigerung des Esels, mit Untiefen zu ringen wenn nicht unbedingt nötig, führte ihn also über eine Brücke zum Ziel, sicher und ohne kalte Füsse zu kriegen. Möglicherweise musste er ab und an das Unverständnis und den aufwallenden Ärger seiner menschlichen Begleiter ertragen, das könnte man sich durchaus vorstellen, nicht? Da das Langohr aber offenbar Träger der alltäglichen Hauptlasten war und ihm dies niemand streitig machen oder gar abnehmen wollte, steht sein Verhalten hier für mich als herrliches Beispiel seiner exzellenten Alltagsintelligenz! Judihui, ich werde mir die „Eselsbrücke“ und damit das Wort wohl bis auf Weiters merken können…immer dann, wenn ich über mein eigenes Verhalten schmunzeln und die Intention dahinter wertschätzen kann!

…zum Fünften

Sollten Sie irgendwann einmal in die bedauernswerte Lage kommen, von Ihrem Umfeld nicht die Dinge gesagt zu bekommen, welche Sie zu hören wünschen –möglicherweise, weil Sie sich zu blödsinnig riskanten Assoziationsexperimenten mit der Familie hinreissen liessen oder auch aus anderen Gründen-: Assoziieren Sie ruhig selbst! Kreieren Sie Ihre eigene Brücke und lassen Sie Ihren Esel gerade stehen. Versteigen Sie sich in wunderbar wohltuenden Vergleichen mit dem eigenen Selbst und spazieren Sie beim eigenen Wert vorbei! Sich ab und an auf die eigene Schulter zu klopfen ist herrlich wohltuend…!

Sollten Sie noch Fragen zu „Esels-Brücken“- oder sonstigen Assoziationen beantwortet haben wollen: Immer wieder gern! Schreiben Sie mir wieder, ich bin gespannt!

 verenadalena@bluewin.ch

Sei ehrlich…

Aha! Da ist sie wieder, diese Ansage! Sei ehrlich! Mein Gott, wie ich diesen Satz blöd finde!!

Bei mir lösen diese Worte neben Unwohlsein und Brechreiz auch Widerstand aus und damit das Bedürfnis darüber eine Lanze zu brechen: Wie kommen wir eigentlich dazu, unseren Kindern, Partnern, Freunden oder weiteren Mitmenschen anzutragen, sie sollen ehrlich sein? Oder uns selbst? Ehrlich währt am längsten…wer hat diesen Blödsinn erfunden und vor allem weshalb?!

Warum um der Welt willen soll ich vor der Lehrperson zugeben, dass ich die Hausaufgaben nicht gemacht habe, weil ich lieber Netflix schauen wollte oder weshalb sollte ich ehrlich sagen, dass ich keine Lust auf einen Schwatz mit der Schwiegermutter habe, da mir deren Gedöns einfach zum Hals heraushängt?  Ehrlich gestehen, sich im Nasch-Kästchen an einer Tafel Schokolade vergriffen zu haben? Weshalb sollen wir solche Dinge ehrlich zugeben?

Meiner Ansicht nach wird Ehrlichkeit dann verlangt, wenn diese uns eine übergeordnete Position zum Gegenüber  (das können durchaus auch wir selbst sein, dann führen wir ein Zwiegespräch) beschert. Wir können dann gütig, herrisch oder grosszügig sein, auf jeden Fall aber verlangen wir vom Gegenüber einen Kniefall, ein ‚Sich-nackt-zeigen‘, ein bewusstes ‚Sich-stellen‘, um dann beurteilt (in manchen Fällen verurteilt) zu werden… gut, in Zeiten der Religionsherrschaften konnte man das ‚Sei-ehrlich‘ mit der Sünde der Lüge belegen (und was mit Sündern geschieht, wissen wir auch heute noch!)…aber in der heutigen Zeit? Weshalb sollten wir ehrlich sein und uns selber in die von andern zu bewertende Position begeben? ‚Die Karten aufdecken‘, ‚die Hüllen fallen lassen‘, sich echt zeigen‘? Weshalb eigentlich?

Was spricht denn gegen verdeckte Karten in der Hand, gegen ‚nicht-ganz-ehrlich? Ich laufe ja auch nicht bauchfrei durch die Gegend, damit alle sehen können, dass der Meinige nicht mehr ausschaut wie vor zwanzig Jahren! (Ich will das nicht tun und die andern das nicht sehen, glauben Sie mir!)

Ich kann selber entscheiden, ob ich der Schwiegermutter (und mir!) den Tag verderbe, indem ich ihr erkläre, ich hätte keine Lust auf einen Kaffee mit ihr oder der älteren Dame, total unehrlich, erkläre, dass gerade eben der Nachbar mich um einen Gefallen gebeten hat und ich deshalb jetzt keine Zeit habe…Ich kann, ebenfalls unehrlich, die Hausaufgaben am Morgen bei der Freundin abschreiben und so dem schulischen ‚Eintrag’ entgehen…den Schokoriegel ersetzen und niemandem davon erzählen…Unehrlichkeit kann mich und andere schützen, vor Tadel, Strafe, Ansehens- oder Selbstwertsverlust! 

Also, seien wir weniger dogmatisch, seien wir freundlicher, nachsichtiger mit uns und der Welt…lernen wir, zuerst uns selbst zu beurteilen  (vielleicht MUSSTE ich mir den Schokoriegel gönnen, obwohl anders geplant?! Vielleicht bin ich mit meinem schlechten Gewissen und dem Blick auf die Waage bereits genug ‚bestraft?) seien wir wohlwollender…wir sehen mit Kleidern doch gut aus, weshalb dann Nacktheit verlangen?

Ich werde in Zukunft sagen: ‚Sei Deiner Wahrheit verpflichtet, entscheide selbst und tu‘ dabei niemandem weh, füge keinem Schaden zu, auch Dir selbst nicht!

Sei unehrlich, wenns für Dich oder andere besser stimmt, pass‘ die Wahrheit Deinen Umständen an. Sei mutig, behaupte Dich selbst, lass‘ Dich nicht zum Schuldigen erklären, nur weil Du Deine Welt etwas farbiger, anders, kreativer und weniger angepasst gestalten oder selber ‚Chef‘ Deiner Wahrheit sein möchtest! Beurteile Dich selber und sei dabei wohlwollend, drück‘ ein-zweimal ein Auge zu!‘

Ha, ich gebe zu, das klingt nach Predigt…naja, dann vielleicht besser als 

Ansage des Tages:

‚Gestalte Deine Wahrheit, intelligent und freundlich!‘